Blumen für badische Schwaben

Kammerchor auf Tournee in St. Petersburg
(Südkurier online, 21.05.08)

Der Fauxpas war schnell verziehen: Ein Chor aus Oberschwaben sei heute zu Gast, wurden die Sängerinnen und Sänger des Konstanzer Kammerchores dem Publikum in der St. Petersburger Katharinenkirche angekündigt bei ihrer Konzertreise ins ferne Russland. Man muss die Feinheiten der süddeutschen Geographie im entfernten Norden Russlands nicht unbedingt kennen. Die Herzlichkeit, mit der der Chor der evangelischen deutschen Gemeinde die Konstanzer empfing, war unmissverständlich.

 

Ludmila Schmidrina, die örtliche Chorleiterin, und die russischen Sänger servierten nach dem Konzert im beengten Nebenraum der Kirche Wodka, Champagner, Lachsbrötchen und Gemüsetörtchen. Das gemeinsame Konzert mit den Russen, der Austausch der beiden Dirigenten Michael Auer und eben Ludmila Schmidrina waren einige der Höhepunkte dieser einwöchigen Konzertreise nach St.-Petersburg. Zwei weitere Konzerte mit geistlicher A-cappella-Musik und deutschen Volksliedern gaben die Konstanzer, immer in Verbindung mit einem russischen Chor. Im Veranstaltungssaal der Pädagogischen Hochschule in einem hässlichen Außenbezirk der Millionenstadt erlebten die deutschen Gäste einen temperamentvollen Lehrerchor.

 

In der Petrikirche im Stadtzentrum, die von 1963 bis 1993 zum Schwimmbad mit Zehn-Meter-Sprungturm umgebaut war und jetzt wieder als Kirchensaal das sportliche Ambiente noch nicht ganz abgelegt hat, sang traumhaft schön der Frauenchor der Musikhochschule. In vollendeter klanglicher Reinheit bis ins feinste Pianissimo interpretierten die Russinnen unter anderem Werke von Rimsky-Korsakoff. Welch ein Kontrast zum infernalischen Fortissimo noch am selben Abend, als die ganze Stadt den Fußball-Uefa-Pokalsieg von Zenit St.-Petersburg mit Hupkonzerten feierte.

 

Überhaupt diese Kontraste: Prächtige Fassaden entlang der Newa und der Kanäle in diesem Venedig des Nordens und schmuddelige, nah am Verfall erscheinende Hinterhöfe. Der immense Kunstreichtum der Eremitage, in der Rembrandts und Rubens Dutzendware sind, und die postsozialistische Tristesse der Außenbezirke. Und noch ein Kontrast: Die oft mürrische Wurschtigkeit russischer Dienstleister und Ludmilas Herzlichkeit. Wann hatte es das schließlich schon gegeben: Dass jedem Sänger des Konstanzer Kammerchors am Schluss des Konzerts eine Osterglocke überreicht wurde; für eine Blume nimmt der Badener die eingangs erwähnte ethnologische Unschärfe gerne in Kauf.

 

Roland Wallisch