Der Konstanzer Kammerchor gab drei Konzerte in Barcelona und Umgebung.
(Oktober/November 2017)
Auf seiner Visitenkarte steht Informatik-Ingenieur, aber die Leidenschaft von Eduard Elias i Vila gehört der ältesten Kirche Barcelonas: Sant Pau del Camp. Dort führt er die Sängerinnen und Sänger des Konstanzer Kammerchores in die Finessen des romanischen Sakralbaus ein. Sogar die Herkunft einzelner Steine weiß er zu benennen, aber auch die ungelösten Rätsel einzelner Stilelemente. Hier also gibt der Kammerchor unter der Leitung von Michael Auer das erste Konzert seiner Katalonien-Reise. Im Vorfeld hatte sich der Chor schon gefragt, ob die Katalanen in diesen Krisenzeiten überhaupt ein Ohr für sakrale Chormusik haben würden. Aber die Zweifel waren unbegründet. Sehr herzlich applaudierte das Publikum in Sant Pau und erklatschte sich noch Zugaben zu einem abwechslungsreichen A-Capella-Programm, das alte Chormusik mit zeitgenössischer kombinierte.
Aber freilich: Die Krise ist sichtbar. Man erkennt sie an den Kamerateams, die vor dem Sitz der Regionalregierung am Platz Sant Jaume und vor dem Regionalparlament im Park de la Ciutadella ausharren, immer in Erwartung dass irgendetwas passiert. Man erkennt sie an den zahlreichen Transparenten, die an den Häusern hängen und beispielsweise „Freiheit für die politischen Gefangenen“ fordern. Und sie kommt in den Gesprächen vor. Elias i Vila zum Beispiel ist der festen Überzeugung, dass Katalonien ein eigener Staat sein muss und weist auf Epochen hin, als Katalonien tatsächlich selbstständig war. Auch Núria Bargalló, die Stadtführerin, die dem Chor die Altstadt zeigt und offiziell nichts über Politik sagen soll, lässt durchblicken, wo in dem Konflikt ihre Sympathien liegen. Andere wiederum hegen Zweifel, ob die nassforsche Methode des inzwischen abgesetzten katalanischen Regierungschef Puigdemont unbedingt die richtige war, um mehr Eigenständigkeit für Katalonien zu gewinnen.
Ein zweites Konzert gab der Kammerchor in Poblet. Der Ort, etwa 100 Kilometer westlich von Barcelona, besteht praktisch nur aus der großen Zisterzienserabtei Santa Maria de Poblet. In diesem so abgelegenen Ort einer bergigen mediterranen Landschaft voller Weinreben, Olivenbäumen und Steineichenwäldern zeigt sich die ganze Herrlichkeit sakraler Baukunst von der Romanik zur Gotik. Allein schon der sagenhafte Nachhall, den die große Abteikirche den Sängerinnen und Sängern schenkt, ist ein Erlebnis von himmlischer Dimension, das befriedet. Vielleicht sollten sich die Protagonisten der Katalonienkrise aus Madrid und Barcelona genau hier treffen, um eine Lösung ihres Konfliktes zu suchen.
Schließlich konzertierte der Chor noch in dem 7500-Einwohner-Städtchen Montblanc unweit von Poblet. Das Konzert in der dortigen Kirche Santa Maria geriet gleichsam zum krönenden Abschluss einer Reise, die Chortenor Michael Stäbler perfekt und umsichtig organisiert hatte. Türöffner für die Kontakte nach Barcelona war übrigens die Choraltistin Sabine Wagenblast, deren Ex-Kommilitonin Ursula Oberst in Barcelona Psychologie-Professorin ist. So galt es beim üppigen Abschlussessen in dem Restaurant Cal Colom von Montblanc den Organisatoren zu danken. Für eine gelungene, krisenlose Chorreise in die Krisenregion Katalonien.
Roland Wallisch
Ziele unserer bisherigen Konzertreisen
1960 Hamburg, Berlin, Kopenhagen
1973 Florenz und Toscana
1976 Luxemburg
1984 Tabor und Prag
1988 Sházhálombatta und Budapest
1991 Lodi, Florenz, Toscana
1994 Frankreich
1998 Malta
2001 Polen
2005 Norddeutschland
2008 St. Petersburg
2012 Bologna
2017 Barcelona