Südkurier 07.12.2004

Moderne adventliche Chorkunst zum Konzert des Kammerchors in der Bruder-Klaus-Kirche Konstanz

Um eine solch geschlossene, exklusive Wirkung eines adventlichen Konzerts zu erreichen, wie es der Konstanzer Kammerchor in der Bruder-Klaus-Kirche zelebrierte, bedurfte es vielerlei Stränge, die zusammengeführt wurden und herausragendes Sing- und Musizierniveau zeitigten: der intensiv vorbereitete Chor mit Sängern, die sich gegen alle kompositorische Unbill moderner Komponisten intonatorisch behaupteten und dabei wohlgeformte Stimmbildung wahrten. Ein Streichorchester mit professioneller Spielkunst und Instrumentalsolisten von hohem Können wirkten mit, und eine durchdachte Programmregie, die wertvolle Chorliteratur des 20. Jahrhunderts mit Gespür für das Machbare, aber auch für Wirkung ausgesucht hatte. Zudem lag ein perfekt gemachtes Programmheft vor, das erschöpfende Auskunft über die Komponisten und deren bei uns kaum bekannten Chorwerke gab; dass die Kirche der Stimmung zuliebe dunkel blieb, konterkarierte allerdings den Anspruch des Publikums, sich während des Konzerts in die Werke einzulesen - da ist häusliche Nachbereitung angesagt! Schließlich das umsichtige und klare Dirigat von Michael Auer, der für all dies Erwähnte verantwortlich zeichnete und ein außergewöhnliches Konzert präsentierte.

Es war ein Konzert der Kontraste: gregorianisches "Rorate coeli" vom antiphonisch singenden Männerchor kontrastierte zu Arvo Pärts "De profundis", wo lineare Männerchor-Phrasen ihrerseits gegen dumpfe Percussionsschläge (David Wagner) und Orgel-Tupfer stehen.

John Taveners "Annunciation" lässt gemischten Chor gegen Soloquartett - Gabriel "gegen" Maria - klingen, und die reibungsvollen Sekund- und sogar Terzgänge im Chor kamen gestochen sauber und klangintensiv vom Altar, weich und cantabel das Quartett von der Empore.

Pärts Magnificat-Antiphonen sind so durchkomponiert, so reich mit Klangmustern vom leeren Quintklang über Durchgangsdissonanzen bis zu voller Dur-Harmonik ausgestattet, dass man besser von "Maximal art" spräche statt vom Pärt gerne nachgesagten "Minimal art"-Stil. Der a cappella singende Kammerchor vollbrachte hier eine besonderen Respekt abnötigende Leistung. Solch ein A-cappella-Werk so gut zu bewältigen, da muss ein intensiv geübtes Tonalitätsbewusstsein vorhanden sein.

Weiteres Glanzlicht: R.Vaughan Williams' "Magnificat" gibt dem Gabriel-Maria-Dialog kantaten-, ja, fast opernhaften Szenencharakter, der in Kathrin Hildebrandts Mezzosopran-Darstellung ausdrucksstarken Melos von fast stählerner Höhenkraft und samtiger Tiefe erhielt. Der Kammer(Frauen)chor parierte schlagkräftig und wieder tonrein, verwoben mit feiner tonlicher Begleitung der Streicher ("Konstanzer Instrumentalsolisten") und Applikationen von Querflöte, Harfe und Celesta.

Beschließendes Chorwerk: Pëteris Vasks "Dona nobis pacem": antiquierend modern, mit fugierten Durchführungen, streng metrisch strukturiert, gelegentlich an die "Psalmensymphonie" anklingend, war sie ein von wenigen Tönen ausgehendes, dann zu großer Klanggeste ausholendes, streichergestütztes Finale.

Die inhaltsschwere Fracht all dieser vom "Magnificat"-Thema geleiteten Chorwerke englischer und baltischer Komponisten konnte in eingeschobenen Solo-Meditationen zur Ruhe finden: Stefan Mölkner (Querflöte) und Nikolaos Ormanlidis (Violine) brachten Bachsche Partita-Allemande und Sonaten-Adagio mit musikantisch empfundener Atmung und Agogik; Birke Falkenroth (Harfe) gestaltete Händels Passacaglia in allen Variationen klangvoluminös-virtuos und zart, während Klaus Simon an Orgel und Celesta arpeggienbestimmte Intermedien aus Hans Ottes "Buch der Klänge" beitrug und damit in der Moderne blieb. Es folgte zu Nachgedanken anregende liturgisch empfundene Stille, dann großer Beifall für ein Konzert von außergewöhnlichem Qualitäts- und Programmzuschnitt.

Reinhard Müller