Mit Bach und Tippett auf Entdeckungsreise

2001 Polen (Krakau, Warschau, Breslau): Konstanzer Kammerchor aus Polen zurückgekehrt - Etappen in Krakau,Warschau und Breslau

Die einen können deutsch und überhaupt kein polnisch, die anderen polnisch und nur sehr gebrochen deutsch.

Beiden Gruppen gemein ist die Sprache der (Chor-)Musik und die Absicht, zusammen Bachs berühmte Motette "Jesu meine Freude" einem Krakauer Publikum ans Herz zu legen. Die Deutschen sind die Sänger des Konstanzer Kammerchores, die Polen jene der Capella Cracoviniensis, am Dirigentenpult: der Konstanzer Michael Auer.
Dieses gemeinsame Konzert war einer der Höhepunkte bei der Konzertreise des Konstanzer Kammerchores in Polen. In nur einer gemeinsamen Probe vermittelte Michael Auer den Polen seine Interpretationsideen - auf Englisch. Das klappte wunderbar, das Konzert vor zwar rarem, aber sehr dankbaren Publikum geriet zum großartigen Musikerlebnis für alle Beteiligten, das man hinterher in einer Krakauer Kellerbar mit weltlichen Gesängen und geistigen Getränken noch fortsetzte. Chorsingen in Konstanz und der Bodenseeregion

Für viele der Konstanzer war es der erste Kontakt zum östlichen Nachbarland. Statt von der ehemals realsozialistischen Tristesse geprägte Städte entdeckten sie ein lebendiges, in seiner Ensemblewirkung herrliches Krakau, staunten über das Wunder der vollständig wiederaufgebauten Warschauer Altstadt samt Königsschloss und erfreuten sich an den gotischen, barocken und neoklassizistischen Häuserfassaden rings um den Breslauer Marktplatz.

Sie waren auf der anderen Seite fassungslos, als sie in Auschwitz mit dem finstersten Kapitel der deutschen Geschichte konfrontiert wurden. Zwar kannten alle dessen Inhalt, aber in seiner Dimension der Grausamkeit kann es sich nur durch den Augenschein vor Ort offenbaren.

Wie sehr die Polen zunächst unter den deutschen Besetzern, später aber auch unter dem Gängelband Stalins und seiner Helfer zu leiden hatten, das wussten die verschiedenen Führerinnen in den Städten eindrücklich und anekdotenreich zu schildern.

Um so mehr erfreute die Konstanzer die Herzlichkeit, mit der ihre Konzerte von den Polen aufgenommen wurden. Ein weltliches Konzert im herrlichen Barocksaal der Krakauer Musikakademie bildete den musikalischen Auftakt mit Gustav Holsts Liedzyklus "Five Part Songs" auf Englisch, mit deutschen, italienischen und auch polnischen Liedern und mit den "Five Negro Spirituals" von Michael Tippett. Die Konstanzer Sopranistin Claudia von Tilzer sang einfühlsam und mit Verve Lieder von Schubert, Schumann und Brahms, begleitet am Flügel vom Breslauer Pianisten Michal Szczepanski. Der begeisterte seinerseits die Konstanzer mit Chopins Nocturne e-Dur op. 62/2 und der Fantaisie f-moll op. 49.

Zu dem bereits erwähnten geistlichen Konzert in Krakau mit der Cappella Cracoviniensis kamen zwei weitere geistliche Konzerte in Warschau und Breslau hinzu.

In Breslau bestritten ein Teil des Konzerts die Mädchen der Breslauer Puellae Cantantes, die sehr zum Amusement und zur Freude der Konstanzer auch Schuberts Heideröslein jung und frisch zum Besten gaben. Ein gemeinsam gesungenes "Gaude mater Polonia" nach veritablen Standing Ovations für die Konstanzer unter Michael Auer bildete zugleich den musikalischen Schlusspunkt der Konzerttournee.

Jan Gil, ein gebürtiger Pole - er hatte auch einige Jahre in Konstanz gewohnt -, hatte als Reiseleiter von Heidelberg aus zusammen mit Uschi Kalhammer vom Kammerchor-Vorstand und Michael Auer die Reise vorbereitet. Sein Anliegen, so bekannte er zum Schluss der Reise, war es vor allem, den Konstanzer Sängern sein Land in seinem ganzen Facettenreichtum näherzubringen. Das, darin waren sich alle einig, ist ihm voll gelungen.

 

Roland Wallisch