James MacMillan

Seven Last Words From The Cross

Uraufführung: 30.März 1994, Glasgow

Deutsche Erstaufführung: 28.März 2010, Konstanz

 

Eine Reihe von Komponisten haben sich den letzten Worten Jesu Christi angenähert: Haydn in seiner „stark gefühlten Melancholie“, wie es MacMillan beschreibt, später der französische Komponist Théodore Dubois in seiner „zuckersüßen“ Vertonung im katholisch–pietistischen Stil, und noch viel später Sofia Gubaidulina in einem Werk, das, wie MacMillan es formuliert, eine „Art Synthese und Freude beim Vereinen von Altem und Neuem“ darstelle.

 

II In gewisser Weise ist es auch das, was MacMillan selbst geschaffen hat. Der Anfang des zweiten Satzes Woman, Behold thy Son!...Behold thy Mother!bezieht sich auf Bach und „beschwört Assoziationen mit Passionschorälen“. Die Choralzeilen werden hier aber durch granitartige Blöcke der Stille unterbrochen. Die Streicher beginnen warm singend, werden aber zunehmend von einer sich steigernden Unruhe ergriffen.

 

I Im ersten Satz erklingt eine bezaubernde kadenzierende Geste, die MacMillan ursprünglich in seinem 1991 komponierten Werk für Klarinette und Streicher, Tuireadh, komponierte hatte. Das Motiv taucht dort ungefähr in der Mitte des Werkes auf und wird dann im restlichen Teil umgeformt und verwandelt wie ein Mantra. „Tuireadh“ ist ein gälisches Wort für „Klage“. Diese musikalische Geste enthält ein fast mystisches Element von wehklagendem Bedauern und seufzender Melancholie.

 

III Der dritte Satz steht in starkem Kontrast zum Vorangegangenen. Ein Großteil ist der Vertonung der Karfreitagsantiphon „Ecce lignum crucis“ gewidmet, die in der Liturgie dreimal gesungen wird, jedes Mal auf einem höheren Ton, während dabei das Kreuz langsam enthüllt und der Gemeinde sichtbar gemacht wird. Die Jesusworte erscheinen nur kurz gegen Ende des Satzes in den Sopranen in unglaublich hoher Stimmlage, die von Violinen begleitet werden und den Aufstieg ins Paradies darstellen.

 

IV Der vierte Satz (Eli, Eli, lama sabachthani) wurde in eine riesige Bogenform gegossen und beginnt mit langen tiefen Tönen in den Kontrabässen, die sich durch das Orchester und den Chor bis hin zu sehr hohen musikalischen Phrasen nach oben arbeiten um dann wieder den ganzen Weg zurück zum Ausgangspunkt zurück zu finden. Die stark verzierten Vokalstimmen schlagen auf gewissen Weise eine Brücke zu den reich geschmückten Fantasias der englischen Meister des 15. und 16.Jahrhunderts.

 

V Der fünfte Satz ist düster. Hier werden die zwei einfachen Worte Jesu, „I thirst“ (Mich dürstet) mit dem wunderbaren Text aus den Karfreitagsproprien, „Ego te potavi aqua... (Als meinen erlesenen Weinberg planzte ich dich, aber du brachtest mir bittere Trauben, du hast mich in meinem Durst mit Essig getränkt) vertont. Der Propriumstext schimmert wie ein geflüsterter gregorianischer Choral. Nur einmal bricht die Musik in einen Schrei aus.

 

VI Im sechsten Satz (Es ist vollbracht) erleben wir die Hammerschläge, mit denen Nägel durch die Hände und Füße Jesu getrieben werden. Schockierende Akkordwiederholungen in den Streichern gehen in ein ruhiges Singen über, wobei auch die Tuireadh-Geste aus dem ersten Satz wiederaufgenommen und der Text aus den Karfreitags-Responsorien (Deine Augen waren vor Weinen blind) mit den Worten Jesu verbunden werden.

 

VII MacMillans eigene Beschreibung des letzten Satzes (Vater, in deine Hände empfehleich meinen Geist) ist sehr persönlich: „Das erste Wort wird dreimal ausgerufen. Dann zieht sich die Musik resigniert zurück“. Der Chor ist fertig – das Werk wird danach von den Streichern alleine beendet.Die abschließenden Violinseufzer entsprechen den letzten Atemzügen des Sterbenden und beenden ein Meisterwerk unserer Zeit.

 

Nach einem Aufsatz von Paul Spicer, 2005