James MacMillan

Als James MacMillan Anfang der neunziger Jahre die Aufmerksamkeit der Musikwelt erregte, wurde schnell klar, dass dieser Komponist auf der Suche nach Anregungen seine Fühler in alle Richtungen ausgestreckt hatte: Vom keltischen Folk bis hin zu Olivier Messiaens radikal experimentellen Mystizismus und den dunkel-humanistischen symphonischen Erzählungen Dmitri Schostakowitschs.

 

Wichtig für das Verständnis MacMillans ist der Begriff des „Katholizismus", in seiner ursprünglichen Bedeutung von „universell" oder „allumfassend". Katholisch erzogen, steht der Glaube noch heute im Mittelpunkt seines Lebens. Seine frühe Hinwendung zum Marxismus, der sich bei ihm mit der lateinamerikanischen Befreiungstheologie verband, hinterlässt noch in seinen neueren Werken Spuren, bis hin zu seiner jüngsten Oper The Sacrifice (2005-06). Gleichzeitig ist MacMillan sich der Spaltungen bewusst, die einseitiges religiöses Denken verursachen kann. So ist es möglich, dass sich in seinen Werken, auch wenn sie ihr formales und melodisches Grundmaterial als der katholischen Liturgie und Chorälen beziehen, Elemente des jüdischen Passahfestes wiederfinden, wie in seinem zweiten Streichquartett Why is this night different? (1998), oder Klangfarben, die sich auf den japanischen Shintoismus beziehen, wie in seiner Symphonie Nr.3 Silence (2003).

 

Das Ergebnis all dessen ist eine Musik, die eine überraschende Vielfalt musikalischer Stile in sich vereint. Aus dichten, kantigen, atonalen Klangbildern können sich plötzlich tonale Melodien erheben, die an Wagner erinnern (eine weitere wichtige, frühe Inspirationsquelle). Zerrissene, komplexe, kraftstrotzende Rhythmen zerfließen zu frei dahinströmenden, improvisatorischen Lyrizismen oder fein gewobener Polyphonie in der Art Bachs oder der Kirchenkomponisten der Renaissance. Mitreißend grelle oder aggressive Klangfarben stehen neben feinen, fraglien Mustern oder samtiger Wärme. Kirchenlieder, traditionelle Klagegesänge oder muntere Märsche bilden gegeneinanderstrebende Schichten in pulsierenden Klangteppichen. Zuweilen fühlt man sich an die überfließenden orchestralen Kaleidoskope des wegweisenden amerikanischen Komponisten Charles Ives oder an den russischen ‚Polystilisten' Alfred Schnittle erinnert.

 

Zusammengehalten wird all dies von MacMillans tief verwurzeltem Gefühl für das Erzählen von Geschichten in Musik. Heuzutage belächelt man große Erzählungen oft als veraltet oder irrelevant. Durch seine Werke wie Isobel Gowdie, Veni, veni, Emmanuel oder die imposante Orchestertrilogie Triduum (1995-97) hat MacMillan jedoch bewiesen, dass diese Art spiritueller Reise in Musik, wie sie schon Beethoven in seinen Symphonien und Bach in seinen großen Passionen vorgeführt haben, in einer Weise wiederentstehen kann, die sowohl Kenner wie auch Liebhaber der Musik anspricht - unter MacMillans größer angelegten Werken neueren Datums findet sich eine eigene Johannespassion als sehr persönliche Darstellung.

 

In einer Zeit, in der Populismus und Modernismus unvereinbare Pole zu sein scheinen, hält James MacMillans Musik die Hoffnung auf ein Zusammenwachsen aufrecht, auf die Heilung schmerzlicher Trennungen, auf Transzendenz.

 

Stephen Johnson, 2008